Bestrafung und Belohnung
Warum sie in der Kindererziehung oft mehr schaden als helfen
Im Alltag mit Kindern fallen häufig Sätze wie: „Wenn du das nicht machst, dann…“ oder „Ich zähle bis drei, dann…“. Diese Formulierungen sind weit verbreitet und stammen oft aus der eigenen Erziehungserfahrung. Viele Eltern greifen in stressigen Situationen automatisch auf solche Mittel zurück, ohne sich über die langfristige Wirkung bewusst zu sein.
Strafen und Belohnungen sind klassische Werkzeuge der behavioristischen Erziehung. Sie basieren auf dem Prinzip von Reiz und Reaktion: Ein bestimmtes Verhalten wird durch eine Konsequenz beeinflusst – positiv oder negativ. In der Theorie scheint dies funktional. Doch in der Praxis – vor allem im familiären Kontext – entstehen dadurch häufig Schwierigkeiten im Beziehungsaufbau zwischen Eltern und Kind.
Kinder leben im Hier und Jetzt. Sie handeln nicht strategisch oder mit manipulativer Absicht, sondern aus unmittelbaren Bedürfnissen heraus. Wenn ein Kind beispielsweise ständig im Raum herumläuft, geschieht das nicht, um Erwachsene zu provozieren, sondern weil es Bewegungsdrang verspürt. Wird dieses Verhalten sofort mit einer Strafe beantwortet – etwa mit der Aufforderung, sich still hinzusetzen –, entsteht beim Kind das Gefühl, falsch zu sein. Das eigentliche Bedürfnis bleibt unbeachtet.
Eine Strafe kann kurzfristig Ruhe bringen, langfristig jedoch Beziehung und Selbstwert des Kindes belasten. Kinder, die häufig bestraft werden, lernen nicht unbedingt den Sinn von Regeln oder sozialem Verhalten. Sie lernen vielmehr, wie sie Strafen vermeiden können – durch Anpassung oder Rückzug. Dabei geht es nicht um Einsicht, sondern um das Vermeiden von unangenehmen Konsequenzen. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion und zur eigenverantwortlichen Handlung wird dadurch nicht automatisch gestärkt.

Auch Belohnungen sind kritisch zu betrachten. Zwar wirken sie zunächst motivierend, doch sie setzen ein Verhalten unter eine Bedingung. Kinder lernen: Nur wenn ich etwas leiste, bin ich anerkannt. Daraus kann sich die Vorstellung entwickeln, dass der eigene Wert an äußere Leistungen geknüpft ist. Die intrinsische Motivation, also der Wunsch, etwas aus eigenem Antrieb richtig zu machen, kann so langfristig geschwächt werden.
Ein Vergleich aus dem Erwachsenen leben verdeutlicht die Problematik: Wer im Straßenverkehr versehentlich 1 km/h zu schnell fährt, wird in der Regel mit einer geringen Geldbuße oder einer Verwarnung belegt. Wird jedoch bei dieser minimalen Übertretung der Führerschein entzogen, erscheint die Konsequenz unangemessen. Ähnlich empfinden Kinder übertriebene Strafen im Alltag, wenn sie in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zur Situation stehen.
Statt mit Strafen oder Belohnungen zu arbeiten, kann es hilfreich sein, das Verhalten des Kindes aus einer bedürfnisorientierten Perspektive zu betrachten. Was ist passiert? Was hat das Kind gebraucht? Was hätte in der Situation helfen können? Durch ein gemeinsames Gespräch lassen sich oft Lösungen finden, die sowohl dem Kind als auch dem Erwachsenen gerecht werden – ohne Druck, ohne Angst, ohne Abwertung.
Bedürfnisorientierte Erziehung bedeutet nicht, dass Kinder keine Grenzen erfahren. Es bedeutet, dass diese Grenzen nachvollziehbar, respektvoll und in Beziehung gesetzt werden. Es geht um Begleitung statt Kontrolle, um Klarheit statt Macht, um Verbindung statt Erziehung durch Drohungen.
Wer als Elternteil in solchen Momenten bewusst innehalten kann, fördert beim Kind nicht nur ein besseres Selbstwertgefühl, sondern auch langfristig soziale Kompetenzen und Selbstverantwortung.
Kinder brauchen keine Strafen, um zu lernen – sie brauchen Verständnis, um zu wachsen.
Zu dem Thema habe ich auch eine Podcast Folge aufgenommen, die du dir hier anhören kannst.
©Fabienne Weber 22.05.2025
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